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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
19. Mai 2006
21:04 MESZ
Von Wolfgang Weisgram

For art 
Foto: Vera Sebauer
Die nächtliche Piazza Unità ...

Foto: Vera Sebauer
...und die Erinnerung an Triest als rettenden Hafen vor dem Holocaust.

Eine bemerkenswerte Verwandtschaft
Un'affinità, eine Verwandtschaft, nennt sich ein groß angelegtes Kunstprojekt, das in Triest die engen Beziehungen zwischen Wien und seinem alten Hafen behandelt

Triest - Zweifellos haben Wien und Triest auf eine sehr innige Weise miteinander zu tun, und zwar nicht nur im Sinn des alten Mitteleuropa-Aficionados Claudio Magris, der den Reiz der beiden Städte darin sah, dass beide jenen Untergang schon hinter sich haben, der blühenderen Metropolen noch bevorsteht.

Der Befund von Claudio Magris stammt aus den Achtzigerjahren. Seither hat sich einiges verändert. Mitteleuropa zum Beispiel, das - den pragmatischen Realisten zum Trotz, ja wie zum Hohn - auf einmal wieder herumspukt in den Köpfen der Menschen, und zwar erstaunlicherweise ohne jene monarchische Sentimentalität, die lange Zeit hindurch das Reden übers Mitteleuropäische so mühsam gemacht hat.

Der Fall des Eisernen Vorhangs vor mittlerweile fast siebzehn Jahren hat das europäische Zentrum geradezu umgestülpt. Die daraus sich ergebende Orientierungslosigkeit - die aus vielerlei Gründen in Österreich und Italien markanter war als umgekehrt - hat die gemeinsame Geschichte als eine Art Muster wiederbelebt, nach dem man die Zukunft anlegen könnte, wären da nicht die vielen Alltagsbeschwerlichkeiten, die einen ständig daran hindern.

Herumtastend

Eine solche Ausgangslage ist nicht die schlechteste Voraussetzung, sich dem Ganzen ästhetisch zu nähern, sozusagen herumtastend, vom einen zum anderen und von dort vom Hundertsten ins Tausendste kommend, sodass das Bild, das man sich macht, allmählich dem Gefühl entspricht, das man hat. Im Fall von Wien und Triest passiert das gerade recht eindrucksvoll. Noch bis zum 4. Juni zeigen österreichische, italienische und slowenische Künstler in Triest ihre diesbezüglichen Arbeiten: Fotos, Filme, Videos, die, jeweils für sich, aber eben auch miteinander, den Spuren einer Verwandtschaft nachgehen. Trieste/ Vienna: Un'affinità, so nennt sich diese Veranstaltung.

Natürlich spielt da auch der alte Kaiser seinen Part. Mara Mattuschka präsentiert in ihrem Kürzestfilm seine - na ja: gütige Seite: "Es hat mich sehr gefreut." Diesen Stehsatz hätte er wohl auch auf Italienisch aufsagen können: "Mi è piaciuto molto." Neben der von Gerald Weber kuratierten Filmreihe "Der Kaiser und die Adria" (inklusive einer bemerkenswerten Sisiade von Christian Frosch), wirft die Veranstaltung schräge Blicke auf den Alltag. Eine Collage von Super-8-Filmen von Gustav Deutsch zeigt die Wiederentdeckung der oberen Adria durch österreichische Urlauber. Und eine Fotoausstellung zeigt jene Unorte, die bis heute die beiden Städte miteinander verbinden: die Wiener Triester Straße und die Triestiner Strada per Vienna.

Ein besonders schändliches Kapitel der Stadtbeziehung wird auf der Mole Audace abgehandelt. Mit dem Projekt "TransitTriest" fokussieren Eva Brunner-Szabo und Gert Tschögel die Erinnerung auf die Jahre 1938 und 1939, in denen Triest buchstäblich der rettende Hafen gewesen ist, über den zahlreiche österreichische Juden gerade noch den Ausweg ins Überleben gefunden haben, was die Stadt und ihren Hafen ins Zentrum der Lebenserinnerung gerückt hat.

Unvergesslich

"Man vergisst halt nicht, auch im hohen Alter", sagt zum Beispiel Walter Arlen, der sich am 14. März 1939 am Wiener Südbahnhof von seiner Familie verabschiedet hatte. "Unvergesslich war auch der erste Anblick des italienischen Dampfschiffes Vulcania aus dem Zugfenster, wie es im frühen Tageslicht im Triester Hafen verankert lag, um mich mutterseelenallein und mittellos ins Ungewisse zu bringen. Erinnerungen an eine bittere Zeit, die erst der Anfang der schwarzen Jahre war, die folgten."

Endpunkt der Triester Straße, Ausgangspunkt eines neuen Lebens: Das Projekt spannt einen schillernden - und manchmal erschreckenden - Bogen zwischen Wien und seinem alten Hafen. (DER STANDARD, Printausgabe, 20./21.5.2006)


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