“Wir Frauen haben gesagt: ...“ ont>| 2005

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“Wir Frauen haben gesagt: ...“ 

Was zur Erinnerung ausgewählt wird, ist stets von den Rändern des Vergessens profiliert.
Aleida Assmann, Erinnerungsräume, München 1999, S. 408

Seit vielen Jahren arbeite ich an multimedialen Arbeiten, die ich mit dem Begriff „Found“ umschreiben möchte. „Found“ ist auch der Begriff, wie ich persönlich meinen künstlerischen Zugang zu meinen Arbeiten beschreibe, die alle mit gefundenem Material und einer Art von erzählerischer Struktur zu tun haben.
Es interessieren mich Projekte, die mir die Möglichkeit bieten, meinen Obsessionen zu frönen, Geschichten zu kompilieren, Recherchen zu betreiben, Bilder ihrem Kontext zu entreißen und in einen neuen einzubetten; mich dem Wechselspiel zwischen Dokumentation und Inszenierung hinzugeben.
Meine Arbeiten führen ins Reich der Erinnerungen, wo Objektives und Subjektives, Wirklichkeit und Fiktion ineinander übergehen. Im Falle von „Wir Frauen haben gesagt: ...“ besteht die Arbeit aus den Erinnerungen von 21 Frauen.

Entstanden ist die Arbeit „Wir Frauen haben gesagt: ...“ aus einer Gesprächsrunde mit Frauen aus Neutal, zur Vorstellung meiner Idee für das Kunstprojekt im MUBA, im Jahr 2004. Das Alter der Frauen bewegte sich ca. zwischen 35 – 80 Jahren. Für dieses erste Treffen hatte ich die Frauen gebeten, ein für sie wichtiges Objekt mitzubringen, das gleichzeitig ihre Situation charakterisiert, die Frau eines Pendlers zu sein. Durch die oftmalige mehrere Wochen oder Monate andauernde Trennung vom Ehemann, ergab sich für viele dieser Frauen eine außergewöhnliche Situation. Die Verantwortung des Alltags lag alleine bei ihnen, z.B. die Organisation des Hausbaus, Alleinerzieherin zu sein, die Entscheidungen über Schulprobleme der Kinder etc. Die Idee ein wichtiges Objekt mitzubringen sollte für mich eine Hilfe sein, durch sie an die Hintergründe und Lebensgeschichten der Frauen zu gelangen. Ein zu abstrakter Ansatz, wie sich herausstellte; nur einige der Frauen brachten Erinnerungsstücke mit, meistens waren es Fotos.
Es gab eine Vorstellungsrunde und ich ließ ein Aufnahmegerät mitlaufen. Wider meinem Erwarten erzählten die Frauen zuerst etwas vorsichtig und scheu, dann aber sehr selbstbewusst über ihre Lebens- und Arbeitswelt, über Probleme und Freuden des Alltags. Interessant für mich war, dass sich in der großen Runde oft kleinere Untergespräche bildeten, die um die gestellten Fragen kreisten. Beim Abhören der Aufnahme, entstand für mich eine Art von kollektivem Gespräch, bei dem eine Frau zu erzählen begann und eine andere weitersprach, was eine Art von Tonpuzzle ergab.
Da die Gesichter der Frauen nur in meiner Erinnerung an die Gesprächsrunde vorhanden waren, vermischten sich bald auch die Gesichter und die dazugehörigen Stimmen. Bild und Ton waren nicht mehr synchron. Das gab mir die Idee mit einer Technik zu arbeiten, die diesen Eindruck noch verstärkt – der Lenticularbildtechnik, auch umgangssprachlich Wackelbilder genannt, bei der ein Bild immer aus mehreren Phasen besteht, im Falle von „Wir Frauen haben gesagt: ...“ aus zwei Bildphasen. Eine Phase zeigt ein unscharfes und doch überraschenderweise gut erkennbares Gesicht einer Frau aus Neutal, die zweite Phase zeigt eine Textstelle aus dem kollektiven Gespräch über dem Gesicht der Frau.
Je nach Standpunkt sieht man die erste oder die zweite Phase. In der Anordnung der zehn Bilder sind nie alle Phasen synchron, so verflechten sich die Gesichter und Texte zu einem Muster eines kollektiven Erinnerungsteppichs der Frauen von Neutal. Niemand sieht den gleichen Erinnerungsteppich, die BesucherInnen des Museums werden selbst zum Teil dieses Teppichs, denn sie verknüpfen Texte und Gesichter auf eine nur ihnen mögliche Weise.

Eva Brunner-Szabo, Mai 2005