Soho kocht | 2004
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Wir
danken allen TeilnehmerInnen, dass sie ihr „Küchengeheimnis“
für dieses Kochbuch verraten haben. Kochbuch zu beziehen über memoryPROJECTS zum Preis von Euro 6,- incl. Versandspesen |
Die Rezeptsammlung SOHO KOCHT ist eine unsystematisch zusammengestellte Sammlung von Rezepten, die viel über Herkunftsregionen, Vorlieben, Kochgewohnheiten und Kreationen heutiger und ehemaliger BewohnerInnen oder Marktbe-sucherInnen des Brunnenviertels verrät. Alteingesessene OttakringerInnen, seit Mitte der 1950er Jahre hergezogene ImmigrantInnen und deren hier geborene Kinder, Zugewanderte aus den österreichischen Bundesländern und KünstlerInnen, die dieses Viertel für sich „entdeckten“, haben ihre Rezepte für diesen kulinarischen Rundgang durch das Brunnenviertel zur Verfügung gestellt. Die Sammlung reicht von Eigenkreationen wie den „Ottakringer Linguini“ mit Sauerkraut, Kapern, Kren und Chorizos, bis hin zu den traditionellen Topfenknödel, in zwei fast identen Variationen eingesandt – von einer 1938 in die Emigration gezwungenen „Alt-Ottakringerin“, und einer hier arbeitenden „Neu-Ottakringerin“. Ein Spaziergang über die Wiener Märkte Mitte des 19. Jahrhun-derts würde uns angesichts des damaligen Warenangebots in Staunen versetzen: Je nach Saison wurden Krebse, Frösche, Wasserhühner, Fischreiher, Schnepfen, Lerchen, Drosseln, Finken, Meisen, Schildkröten, Fischotter oder Biber zum Genuss angeboten. An heimischen Obst-, Gemüse- und Gewürzsorten – viele davon sind heu-te schon in Vergessenheit geraten oder nur mehr selten erhältlich – fanden sich u.a. auch das der Kresse ähnliche Löffelkraut, Sauer- ampfer, Aniswurzeln, Zuckerwur-zeln, Haferwurzeln, Meerfenchel, Meerkohl, Stockrüben, Braunkohl, Topinambur (Erdbirnen), Dirnlbeeren (Kornelkirschen), Mispeln oder Quitten. Gegen Ende des 19. Jahr- hunderts kamen immer mehr Importfrüchte aus Südeuropa auf die Wiener Märkte.1 Während die Märkte in der Stadt, die Tische der adeligen und bürgerlichen WienerInnen mit exotischen Früchten und Gewürzen deckten, richteten sich die MarkthändlerInnen in den außerhalb des „Linien- walls“ gelegenen Vororten von Wien, so auch in der „Unteren Brunngasse“2 in Neulerchenfeld, nach den niedrigen Verdiensten und Gewohnheiten der ansässigen Bevölkerung – hier zu leben war billiger, als in den Vorstädten Wiens oder in der Stadt selbst. Seit dem 18. Jahrhundert siedelten sich in Neulerchenfeld vor allem Handwerker, KleinhändlerInnen, Weißnäherinnen, Bäcker, Wirte, Fleischhauer und TagelöhnerInnen an. Über ein Viertel der etwa 6.500 EinwohnerInnen im Jahr 1840 stammte aus Kronländern der österreichisch-ungarischen Monar- chie oder waren aus Ländern außerhalb der Monarchie her gezogen. Seit der Gründung der ersten Manufakturen im Jahr 1814, wuchs auch der Anteil der hier lebenden ArbeiterIn-nen.3 Mit der Zunahme der Wohnbevöl-kerung, begannen sich auch die Markt-stände in der „Unteren Brunngasse“ etwa um 1830 allmählich in Richtung des heutigen Yppenplatzes auszudehnen, und wuchsen schließlich mit dem im Jahr 1872 errichteten Yppenmarkt zusammen. Zu dieser Zeit deckte der Markt aber nicht alleine den täglichen Bedarf der lokalen Bevölkerung, sondern versorgte auch die zahlreichen Gaststätten dieses Gebietes mit Lebensmitteln. Im Jahr 1703, als Neulerchenfeld urkundlich gegründet wurde, umfasste der Ort jenes Areal, das heute durch die Grundsteingasse, den Neulerchenfeldergürtel, die Gaullacher- gasse und Kirchstetterngasse umschlossen wird, also den Kern des Brunnenviertels. Diese Straßen und Gassen hatten seit dem beginnenden 19. Jahrhundert auf die StadtbewohnerInnen aus Wien eine besondere Anziehungskraft. Knapp nach dem Jahr 1800 besaßen von 156 Häusern, 103 das Schankrecht, in 83 der Häuser wurde es auch ausgeübt.4 Neulerchenfeld wurde zum Eldorado für die vergnügungssuchenden WienerInnen. Vor allem an den Wochenenden fuhren viele in dieses nahe Gaststätten- und Vergnügungsviertel, wo seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auch unzählige VolkssängerInnen in den Wirtshäusern und in den später errichteten „Singspielhallen“ auftraten. Das Brunnenviertel ist bis heute Wohn- und Arbeitsviertel von Menschen aus allen österreichischen Regionen, aus vielen europäischen und außereuropäischen Ländern und unterschiedlicher sozialer Schichten geblieben. Mit den Zuziehenden kamen und kommen auch ihre individuellen, familiären und kulturellen Kochtraditionen in dieses Viertel. In der Esskultur widerspiegeln sich aber nicht alleine regionale und familiäre Traditionen, sondern auch zeitgenössische Lebensstile. Dem Konzept traditioneller nationaler und regionaler Küchen, setzt man/frau heute eigene Formen einer „patchwork-Küche“ entgegen. Menschen aus anderen Kulturen und Regionen bringen ihre Essenskultur mit, die sehr bald in jene des Gastgeberlandes bzw. der neuen Heimat integriert wird. Waren es in Österreich vor mehr als 100 Jahren das Gulyás und die Powidltascherl, so bereichern heute Spaghetti und Kebap die österreichischen Küchen. Esskultur hat auch eine „identitätsstiftende existenzielle Komponente: Der Mensch ist was er isst.“5 So wie „Essen“ mehr als nur Nahrungsmittelaufnahme und Energiezufuhr ist, ist „Kochen“ nicht alleine die Zubereitung und das Garen einer Liste von Zutaten. Kochen ist ein schöpferischer Prozess, durch den Menschen ihre Weltsicht zum Ausdruck bringen, und in dem „sich geschichtliche Epochen, regionale Zonen und auch einzelne Individuen durch das Formen der Speisen darstellen.“6 Identität
und Weltsicht in der Esskultur lässt sich aber nicht länger
durch nationale und regionale Küchentraditionen beeinflussen.
Das „Was-kochen-wir-heute“ wird nicht mehr alleine durch
Mutters Küchentradition – der Ausdruck sei hier erlaubt,
unsere Elterngeneration kannte tatsächlich keine kochenden
Väter – bestimmt, sondern auch durch kulinarische Mitbringsel
aus exotischen Urlaubsorten, durch die Tipps der Küchen- chefInnen
in den Medien, durch das Angebot neuer Lebensmittel auf den Verkaufspulten
der Märkte, ökologisches Denken und letztlich auch durch
persönliches Experiment und Kreativität. Koch- und Esskultur
hat aus dieser Perspektive gesehen, nicht nur mit „kultureller
Selbstbehauptung“7 zu tun, sondern auch mit individuellen
Vorstellungen und Lebensstilen. 1 Bauer, Werner
T.: Die Wiener Märkte. Wien 1996, vgl. S. 40ff. |
Proberezepte |
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Topfenknödel Zutaten Zubereitung Ein noch „besseres
Rezept“ ist das folgende: |
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Ottakringer
Linguini Zutaten Zubereitung Wenn die Gedanken
über vergangene oder künftige Urlaube von Italien nach
Spanien schweifen und dann an der „Beach Bar“ des vorigen
Sommers auf der Piazza am Yppenplatz hängen bleiben, wünsche
ich mir ein Gericht das solche Erinnerungen vereint: Ottakringer
Linguini. |