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zum Projekt E Forum Zeitgeschichte 2002/03 |
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Museu de Memòries
Calaf / Katalonien - Spanien
Erzählen Sie Ihre Geschichte zu den Bildern. Schicken Sie uns Ihre Erinnerungen in ein paar Worten oder in einer kurzen Geschichte.
Über das Speichern des Visuellen
Am Vorabend, der vielerorts der Fotografie nachgesagten Ablöse der traditionellen auf der Fotochemie basierenden Technologie durch die Digitalisierung des Bildes, hat die Quantität der belichteten Bilder ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Die Ende der 20er Jahre zunehmende Verbreitung von Fotokameras brachte einen "Apparat" unter die Leute, mit dem es möglich ist, historische Ereignisse visuell aufzuzeichnen, zu archivieren und wieder abrufbar zu machen. Neben der von Generation zu Generation durch die Erzählung weitergegebene Geschichte, die Kulturanthropologie nennt es die "Oral Tradition", und der schriftlichen Form, stellt das fotografische Abbilden historischer Ereignisse die dritte wichtige Mnemotechnik dar, derer sich das Gedächtnis bedient, um sich an Vergangenes erinnern zu können.
Im Moment des Betätigen des Auslösers legen Fotografen eine Spur in die Zukunft, einen unsichtbaren Faden, entlang dessen die Erinnerung zu den bedeutsamen Augenblicken zurückfindet 1). Hier vollzieht sich auch das, was Ricur als die Dialektik zwischen Erfahrungsraum und Erwartungshorizont beschreibt und das die Dynamik des historischen Bewußtseins gewährleistet. Im Verhältnis von Gedächtnis und Geschichte, wobei der Terminus Geschichte hier für die erzählte oder geschriebene Geschichte von den vergangenen Dingen steht, stellt die Geschichte eine kritische Instanz des Gedächtnisses dar. Vermittelnd setzt dabei die Erzählung als sprachliches Medium ein 2).
Doch es sind nicht nur die von den Geisteswissenschaften favorisierten textorientierten, sprachlichen und schriftlichen Quellen, die dem Erinnern den Zugriff auf das Gedächtnis ermöglichen und erleichtern, sondern auch visuelle, auditive, haptische, den Geschmacks- und Geruchssinn betreffende "Bilder der Erinnerung". Diese sind jedoch nicht den Regeln linearen Erzählens unterworfen, sondern stellen sich oft plötzlich ein, und in unterschiedlichen Weisen 3). Hierbei spielt die Fotografie, allen voran die private Fotografie, die Pressefotografie und die dokumentarische Fotografie, eine nicht unbedeutende Rolle im Prozeß des visuellen Erinnerns.
Der französische Soziologe Maurice Halbwachs sah das Gedächtnis als von sozialen Gruppen konstruiert. Die Erinnerung des Einzelnen ist eine bildliche, doch die sozialen Gruppen sind es, die darüber bestimmen was des Andenkens wert ist und wie es erinnert wird. Das Individuum identifiziert sich nach Halbwachs mit den öffentlichen, für seine Gruppe wichtigen Ereignissen 4). Individuelles wie auch kollektives Gedächtnis stehen demnach in einem nicht genauer definierten Verhältnis zueinander, das an dieser Stelle nicht genauer ausgeführt werden soll. Wie sonst wäre es möglich die Bedeutung von anonymen, privaten Fotografien ohne Wissen um den Kontext des Entstehens, wenngleich in unterschiedlichen und individuellen Weisen, decodieren zu können, und die Bilder auch in ein Verhältnis zum eigenen Gedächtnis und zur Geschichte einordnen zu können. Das Herstellen dieses Verhältnisses äußert sich auch in der Erzählung die vermittelnd und erklärend eingreift. Was sich beim genaueren Betrachten von Fotografien als Mitteilungsbedürftigkeit zeigt, ist jedoch nichts anderes als das sich artikulierende Bewußtsein um die eigene Geschichtlichkeit. Fotografien, in diesem Sinne private und dokumentarische Fotografien, bilden, und damit finden wir zum Ausgangsgedanken des Projekts Museu de Memòries mit der begleitenden Erzählung eine Einheit.
Eine Einheit die auch John Berger sieht, wenn er schreibt: "In der Beziehung zwischen einer Photographie und Worten verlangt die Photographie nach einer Interpretation, und die Worte liefern sie ihr gewöhnlich. Die Photographie - als Beweis unwiderlegbar, aber unsicher, was den Sinn angeht - erhält Sinn erst durch Worte."5). Die Beweiskraft der Fotografie ist für ihn erst durch den begleitenden Text gegeben, aber auch gefährdet.
Für den Betrachter einer Fotografie ist es nur vordergründig wesentlich, ob das Foto aus dem Zusammenhang seiner eigenen Geschichte stammt oder aus einem für ihn fremden und anonymen Kontext gerissen wurde. Eine "fremde" Fotografie fordert nur eine höhere Abstraktionsleistung, um als auslösendes Moment für die Erinnerung zu fungieren. Wichtiger noch scheint der erzählerische Zusammenhang zu sein, der dem Bild Bedeutung für die eigene Familiengeschichte vermitteln kann und so die Spuren zur individuellen Geschichte aufnimmt, oder im Fall eines aus fremden Zusammenhang stammenden Bildes, den Dialog mit dem erinnerungsauslösenden Foto beginnt. Im Akt der Erzählung wird der Erzähler zum handelnden und erlebenden Subjekt der Geschichte gemacht.
Und während die Theorie die Zusammengehörigkeit von Bild und Text postuliert, macht sich der künstlerischer Zugang in diesem Projekt auf, diese Einheit zu zerschlagen, oder vielmehr sie bloßzustellen.
Was sich vom Standpunkt des wissenschaftlichen Zugangs dieses Projekt als methodisches Experiment, über das Bild zu Erinnerungen zu gelangen, darstellt, ist vom künstlerischen Zugang her, der in den 70er Jahren entstanden Richtung der Spurensicherung (story-art) zuordenbar.
Der Künstler will dabei das Erinnern - wie auch in der Wissenschaft und in der Museumspraxis - durch Dokumente, Bilder und Gegenstände - systematisieren. Nicht unähnlich der Archäologie wird durch freigelegte Reste auf vergangene Zustände geschlossen. Dabei ist der Künstler aber nicht an historischer Genauigkeit und objektiver Rekonstruktion interessiert auch wenn er ausgräbt, sammelt, inventarisiert und klassifiziert, denn "... zum Selbstverständnis der Spurensicherung gehört ihre scheinbare Wissenschaftlichkeit."6). Vielmehr kommt es ihm darauf an, die persönliche Erinnerung aufzustacheln und damit die, in der Lebensgeschichte jedes einzelnen hinterlassenen, fragmentarischen Erinnerungsspuren auszugraben und mit anderen in vergleichende Verbindung zu bringen. Die Vieldeutigkeit des Bildes wird durch die Variationen des von ihr ausgelösten Erinnerns offenbar. Die Individualität des Decodierungsvorganges ist offensichtlich.
Der öffentliche Raum mit seinen Denkmälern ist, in einem gewissen Sinn die räumliche Zone des Nicht-Privaten, das Gegenstück zum individuellen Gedächtnis. Während der öffentliche Raum als Medium für ein kollektives Erinnern gesehen werden kann, in welchem Denkmäler dem Nicht-Vergessen und dem Bewußtsein gemeinsamer Geschichte dienen, stellt das individuelle Gedächtnis jene Zone dar, in der individuell verarbeitete Geschichte abgelegt werden kann. Auch Geschischtsbewußtsein, das im Widerspruch zum Herrschenden steht. Das Berühren und Hervorrufen individueller Erinnerungen innerhalb des öffentlichen Raumes ist daher, unabhängig vom Inhalt, seiner Form nach schon provokativ.
Das Museu de Memòries ist ein Museum ohne Gebäude und ohne festen Ort, das temporär in den öffentlichen Raum eindringt. Aber es beinhaltet die klassischen Aufgaben eines Museums: finden/sammeln, erhalten/archivieren, präsentieren/vermitteln; es ist aber auch ein künstlerischer Eingriff, der sich der Erinnerung und des Gedächtnisses des Rezipienten bemächtigt.
Erinnern im öffentlichen Raum
"Einst gab es in England einen Beamten der den Titel "Remembrancer" trug, in Wahrheit war dies ein Euphemismus für den Schuldeneintreiber. Es gehörte zu seiner Pflicht, die anderen an das zu erinnern, was sie selbst gern vergessen wollten."7) Als "Remembrancer" zu arbeiten ist eine der wichtigsten Aufgaben, die ein Künstler wahrzunehmen hat. In diesem Sinne sehen wir uns als "Remembrancer", die Erinnerungen antasten, Verdrängtes wachrufen. Tun wir dies in einem für uns fremden öffentlichen Raum, so wird dies meist als Provokation als Eingriff von außen empfunden. Doch was bedeutet "außen" in einem zusammenwachsenden Europa, in dem das Kapital längst keine Grenzen kennt und wie der Fall Österreichs im Jänner 2000 zeigte, die Staatengemeinschaft auch daran geht, das beengende nationalstaatliche Denken zu überwinden und auch demokratiepolitische Maßstäbe über die Grenzen hinweg durchzusetzen.
Die Formen des Erinnerns und der Umgang mit der Geschichte sind überall in Europa von Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten gekennzeichnet. Verdrängung, Heroisierung, Mahnen, Vergessen, Erinnern, Fälschen sind Methoden deren Menschen sich bedienen um die Geschichte zu verarbeiten. Die Diskussionen darüber sind uns durch den Umgang mit der eigenen Geschichte vertraut.
Das Projekt Museu de Memòries will nicht vordergründig Mahnen oder Gedenken, sondern einen Prozeß in Gang setzen der den öffentlichen Raum zum Medium für die Auseinandersetzung mit der persönlichen Erfahrung der Geschichte macht. Unbewegliche Denkmäler, die in alle Ewigkeit mahnen wollen, werden vom öffentlichen Raum aufgesogen. In der beschleunigten Welt (Virilio) werden sie zu alltäglichen Unauffälligkeit. Erst durch den Abriß wird man ihrer durch das Entstehen des Vakuums in der gewohnten Topographie des öffentlichen Raumes gewahr.
Am Plaça dels Arbres in Calaf (Barcelona) wurde 1942 das Denkmal für die gefallenen Soldaten der Franquisten im Spanischen Bürgerkrieg errichtet. Über die Opfer Francos schwieg das Monument. Jahre nach Francos Tod wurde das steinerne Denkmal abgetragen. Ein kleinerer Gedenkstein für alle Opfer des Bürgerkrieges steht jetzt am Rande des Parkes. Der kleine Park ist einer der meist genutzten öffentlichen Plätze von Calaf. In der Mitte des Platzes wo sich heute die sternförmig überschneidenden Wege der Passanten treffen, stand das Denkmal der gefallenen Franquisten.
Die Installation des roten Kubus mit 3x3 Meter Breite und einer Höhe von 2,70 Meter stellt sich an dieser Stelle den Passanten in den Weg. Doch die Installation verbirgt zunächst etwas. Passanten müssen sich der Installation nähern und durch Sehschlitze in das Innere schauen, denn die Installation ist nach innen gewandt. Dies ist der erste Schritt den die Passanten tun müssen. Im Inneren des Kubus befinden sich Fotografien aus der Zeit des Spanischen Bürgerkriegs und auch aus der Zeit danach. Einige Fotografien wurden im Juli 1999 in Calaf gemacht. Wandparolen mit politischen Symbolen. Ihrer Zeit und Kontext entrissen wurden diese Zeichen an den Hausmauern zum Symbol dafür, daß es in der Geschichte keine Stunde Null gibt. Ideen, Anschauungen, Symbole überdauern Perioden, bilden neue Inhalte, Formen und Kontexte heraus, und tauchen in neuen Zusammenhängen in neuen Zeitepochen wieder auf. Die anderen Fotografien stammen aus Archiven, den visuelle Speicher der Geschichte. Niemand wird sie dem Ort oder den abgebildeten Personen zuordnen können. Doch viele werden diese Bilder als Zeichen dechiffrieren können deren visueller Code direkt die individuellen Erinnerungen anspricht.
Die Installation sehen wir als Metapher für Verdrängtes und Vergessenes deren Erhellung es einer Anstrengung bedarf, man muß sich zu den Bildern hin bemühen. Sich erinnern wollen ist auch ein Akt des Überwindens von Barrieren. Die Installation ist temporär und bleibt etwa drei Wochen stehen. In dieser Zeit werden Plakate mit Parolen aus der Zeit des Bürgerkriegs, Anordnungen aus der Zeit der Diktatur und mit unseren Fragen an die Bewohner in der Stadt affichiert. Jeder Text hat auch eine Referenz zu einem der Fotos in der Installation. Neben den Fotografien sollen so auch die Wörter das Erinnern aufstacheln.
In diesen drei Wochen werden auch Bücher an verschiedenen Stellen in der Stadt aufgelegt, in die man seine Anmerkungen, Kommentare, Schilderungen und Erinnerungen niederschreiben kann. Und dies ist der zweite Schritt den die Bewohner tun müssen, denn erst auf diese Weise entsteht ein aus fragmentarischen Erinnerung zusammengesetzte Gedächtnislandkarte Calafs. Auch über den dokumentarischen Wert hinausgehende gegenwärtige Rezeptionen der Geschichte und des Umgangs mit ihr können in diesen Büchern ihre Spuren hinterlassen.
Eva Brunner-Szabo / Gert Tschögl
Eröffnung des Projekts: Plaça dels Arbres/Calaf 27.05.2000
1) Vgl. Timm Starl, Knipser. Die Bildgeschichte der privaten Fotografie in Deutschland und Österreich von 1880 bis 1980, Ausstellungskatalog Münchner Stadtmuseum, München 1995, S. 23. (zurück)
2) Vgl. Paul Ricur, Gedächtnis-Vergessen-Geschichte, in: Jörn Rüsen u.a., Historische Sinnbildung. Problemstellungen, Zeitkonzepte, Wahrnehmungshorizonte, Darstellungsstrategien, Reinbek bei Hamburg 1997, S. 433-454, S. 436ff. (zurück)
3) Vgl. Heidrun Friese, Bilder der Geschichte, in: Jörn Rüsen u.a., Historische Sinnbildung. Problemstellungen, Zeitkonzepte, Wahrnehmungshorizonte, Darstellungsstrategien, Reinbek bei Hamburg 1997, S. 328-352, S. 328ff. (zurück)
4) Vgl. Peter Burke, Geschichte als soziales Gedächtnis, in: Kai-Uwe Hemken (Hg), Gedächtnisbilder. Vergessen und Erinnern in der Gegenwartskunst, Leipzig 1996, S. 92-112, S. 93. (zurück)
5) John Berger, Erscheinungen, in: Jean Mohr u.a., Eine andere Art zu erzählen, München, Wien 1984, S. 82-129, S. 92. (zurück)
6) Günter Metken, Spurensicherung. Kunst als Anthropologie und Selbsterforschung. Fiktive Wissenschaften in der heutigen Kunst, Köln 1977, S. 12. (zurück)
7) Peter Burke, Geschichte als soziales Gedächtnis, in: Kai Uwe Hemken (Hg), Gedächtnisbilder. Vergessen und Erinnern in der Gegenwartskunst, Leipzig 1996, S. 92-112, S. 109. (zurück)